Please kill me
die unzensierte Geschichte des Punk
von Legs McNeil und Gillian McCain
Als Kind bzw. Jugendlicher habe ich mich immer über meine Oma lustig
gemacht, wenn sie in Zeitschriften wie "Frau im Spiegel", "Das
Goldene Blatt" etc. den neusten Tratsch der Königshäuser
las. Nun scheint meine Generation ihr Alter erreicht zu haben, wie sonst
lässt sich der Erfolg des Buches "Please kill me" erklären?
- 500 Seiten Klatsch und Tratsch von und mit, und über B- bzw. überhaupt-keine-Prominenz.
Das ist zuweilen ganz nett und unterhaltsam, aber das Buch als "Unzensierte
Geschichte des Punk" - so der Untertitel - zu vermarkten, grenzt
schon fast an Unverfrorenheit.
Denn der Autor Legs McNeil hat ein kleines Problem - vielleicht auch einige
mehr, die er aber nicht so deutlich zur Sprache bringt, wie dieses:
Ich dachte nur: "Hey, Moment mal! Das hier hat aber nichts
mit Punk zu tun - eine Stachelfrisur und Sicherheitsnadeln? Was soll diese
Scheiße?" Ich meine, immerhin waren wir das Punk-Magazin. Wir hatten den Namen erfunden
und assoziierten mit dem Begriff Punk diese amerikanische Underground-Rock'n'Roll-Kultur,
die bereits seit ungefähr fünfzehn Jahren durch Velvet Underground,
die Stooges, die MC5 und so weiter und sofort existiert hatte. Deshalb sagte ich: "Wenn ihr jetzt anfangen wollt, eure eigne Jugendbewegung
zu gründen - nichts dagegen, aber diese hier ist bereits besetzt."
(dt. Ausgabe: Seite 380)
McNeil sieht sich als Papst des Punks und so ignoriert er in konsequenter Weise die britische Punkbewegung.
Ja, sie findet in seinem Buch nicht statt
mit Ausnahme in der Person
von Sid Vicious. Sein Drogentod in New York wird in epischer Breite wiedergegeben.
Überhaupt: New York und die Junkies, scheint das wirkliche Hauptthema des Buches zu
sein, jeder fixender Stricher kommt zu Wort. Wen wundert es da, dass ich
mehr über William S. Burroughs erfahre als über Joe Strummer,
dessen Name in dem Buch nicht einmal (!!!) erwähnt wird. Auch die Berufung auf Velvet Underground als "Ur-Punks", lässt
sich nur mit der amerikanischen Sichtweise erklären, wieso sind es
nicht die Troggs oder Who? Und ist Keith Richard nicht tausendmal mehr Punk
als Lou Reed?
Zur Erinnerung an die Autoren, den Begriff "Punk"
haben sie nicht erfunden - er existierte bereits - und all die von ihnen erwähnten
amerikanischen Gruppen, haben sich in den 70ern nicht als Punk verstanden. Dem
Bestreben des Punk-Magazines, dieser Musikrichtung den Oberbegriff "Punk" überzustülpen,
wurde damals belächelt - und wäre elend gescheitert, falls nicht
einige Kiddies mit Stachelfrisur und Sicherheitsnadeln in London
die Idee aufgenommen und sich als Punk bezeichnet hätten. Die englische
Presse tat ihr Übriges. Ohne Pistols, Clash, McLaren, Westwood (diese
Namen stehen hier nur stellvertreten für eine Bewegung) und das ganze Brimborium drumherum wäre
Punk nie ein Begriff geworden.
Trotz aller Kritik, das Buch ist sehr unterhaltsam. Seine Stärke
liegt in dem Erzählstil, der Aneinanderreihung und Vermischung verschiedener
Interviews, selbst entgegengesetzte Beobachtungen oder Ansichten werden
unkommentiert wiedergegeben, fließen aber zu einer Einheit zusammen. Das Buch liest sich wie ein Roman, obwohl es Kommentare von über 120 interviewten Personen sind. Und wer liebt ihn nicht, den Klatsch und Tratsch? Wer hing an der Nadel?
Wer fickte wen? Und wer war stockschwul? Auf all diese wichtigen Fragen
der New Yorker Szene Mitte der 70-er gibt das Buch Antworten. Und man ist mittendrin auf der Couch direkt neben Iggy Pop, Dee Dee Ramone und Richard Hell...
|